USA

Jetzt wird's eng

Raus aus dem Grand Canyon und sofort sind wir wieder im Mix aus Wüste, Steppe und kahlen Felsen. Wir starren durch die Windschutzscheibe, doch das Auge findet nichts, woran es sich länger als eine Sekunde festhalten kann.

 

Nur drei Stunden später können sich die Augen nicht satt sehen. Wir besuchen den Antelope Canyon. Zuerst zögern wir noch. Es ist brüllend heiß und unser Nationalpark-Pass hilft uns nicht weiter, da der Antelope Canyon den Navajo-Indianern gehört. Sie verlangen 23 Dollar pro Nase für eine Führung von ca. 30 Minuten. Lohnt das?  

 

Und wie sich das lohnt. Nachdem wir durch eine unscheinbare Spalte im Boden in die Tiefe steigen, finden wir uns schlagartig in einer Traumwelt wieder. Der zehn Meter hohe Raum ist vollständig in Rot getaucht. Roter Boden, rote Wände, rotes Licht. Vor lauter Staunen dauert es einen Moment, bis wir uns an diese Umgebung gewöhnen. Es gibt nirgendwo eine Kante, nur geschwungene - fast weibliche – Formen. Der Raum ist eigentlich ein Schlauch von der Breite eines Hausflurs, der sich ca. 150 Meter lang immer tiefer in den Stein windet.

 

Wir folgen diesem Weg. Hinter jeder Biegung ändert sich die Ansicht. Was bleibt, sind Schönheit und Ästhetik. Einzigartig. Der Einfall von Sonnenlicht erweckt die Szenerie zum Leben. Sonne und Schatten spielen miteinander. Ist das hier alles echt? Es scheint, als habe Gott hier persönlich modelliert, doch allein Wasser und Wind sind Schöpfer dieses Wunders der Natur.

 

Wie dicht Schönheit und Tod beieinander liegen, erzählt ein Gedenkstein. Zwölf Menschen sind im Antelope Canyon ertrunken, als plötzlich heftiger Regen einsetzte. In diesem Fall gibt es kein Entrinnen, die Todesfalle Canyon schnappt zu.

 

Wir fliehen schließlich vor der Sonne in Richtung unserer nächsten Unterkunft. Bei der Planung unserer Tour hatten wir uns bewusst dafür entschieden, einmal wie Einsiedler in einer einfachen Unterkunft mitten in der Wüste zu übernachten. Drum herum keine Stadt, kein Dorf, keine Siedlung.

 

Doch vorher passiert eine Episode, wie sie eigentlich nur für ein Film-Drehbuch erfunden werden kann. In Richtung Utah überqueren wir noch einmal den Colorado River. An der Brücke befindet sich ein Info-Zentrum. Uns bietet sich eine Gelegenheit für eine Pause. Draußen ist es inzwischen stürmisch geworden, kleine Wirbelstürme fegen durch die Steppe. Als Kerstin die die Tür öffnet, greift der Wind in unseren Wagen und schleudert einige Blätter hoch in die Luft und schließlich in den Colorado River. Es ist nicht Wichtiges dabei, außer vielleicht die Reservierungsbestätigung unserer Wüsten-Unterkunft. Aber die Bestätigungen haben wir noch nie gebraucht.

 

Am frühen Abend erreichen wir die Unterkunft. Als wir uns anmelden, reagieren die Betreiber überrascht und irritiert. Es ist kein Zimmer für uns frei.

„Aber wir haben definitiv gebucht.“

„Können wir die Reservierungsbestätigung sehen?“

„Die schwimmt im Colorado River.“

 

Es wird Abend und wir stehen ohne Beleg, ohne Unterkunft im Nichts. Die Betreiber sind aber hilfsbereit und suchen bei sich nach der Bestätigung. Schließlich finden sie eine E-Mail von Kerstin im System und den Durchschlag einer Notiz in einem Ordner. Sie sehen ein, dass bei Ihnen etwa schief gelaufen ist und organisieren uns eine Alternative. Unser Glück: In sieben Meilen Entfernung noch einen Anbieter mit rustikalen Wüsten-Lodges. In einem Zirkel von 150 Meilen wäre sonst nichts gewesen. Wie wir später feststellen, hat dieser Vermieter noch nicht einmal Internet, so dass sich dort nur hin verirrt, wer anhält und fragt.

 

Unser Abendessen bereiten wir auf unserem Gaskocher zu. Es gibt Spaghetti mit einer mexikanischen Bohnen und Mais-Sauce. Vor irgendwo streunt ein Hund heran und leistet uns Gesellschaft. Am Abend stellt sich schließlich auch das totale Gefühl von Einsamkeit, Weite und Stille ein. Die Sonne geht unter, nur die Bergzüge leuchten noch blau. Wir sitzen nur da, nichts um uns herum. Die Stille hüllt uns ein. Es gibt unterschiedliche Arten von Stille. In seinem Roman Madame Bovary etwa beschreibt Gustave Flaubert die Stille über 14 Seiten. Auch hier ist die Stille anders als zu Hause. Während zu Hause plötzlich irgendwo etwas passieren kann, das die Stille zerreißt, kann hier nichts plötzlich passieren. Weil es hier einfach nichts gibt.

 

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