Vietnam

Auf in's Getümmel

Hanoi ist der Hammer. Es dauert nur einen Moment, sich in die Hauptstadt Vietnams zu verlieben. Der Puls dieser Stadt rast. Besonders die Altstadt zieht uns in ihren Bann. Sie ist ein einziger Marktplatz. Von der ersten Sekunde unserer Reise an prasselt eine Flut an neuen Eindrücken auf uns ein. Gleichzeitig sind wir beruhigt. Unsere Fragen im Vorfeld lauteten: Wie werden Hotels, Essen, Atmosphäre auf uns wirken? Der Auftakt ist vom Fleck weg super. Das Gefühl, vier einzigartige Wochen zu erleben, bekommt Nahrung.

 

Auf dem Weg zum Flughafen schwimmen wir mit im endlosen, nie versiegenden Strom an Motorrollern. Sie prägen das Straßenbild in einem Land, in dem das Auto ein Luxus für wenige ist. Als wir beginnen, uns allein in der Stadt zu bewegen, müssen wir zuerst lernen, lebend die Straßen zu überqueren. Nach zwei ungelenken Versuchen haben wir den Bogen 'raus: einfach losgehen und auf nichts achten. Wie von Geisterhand wird der Strom der Mopeds rechts und links an uns vorbeigeführt. Die Innenstadt von Hanoi ist ursprünglich geblieben, die unkontrollierten Modernisierungsschübe anderer asiatischer Megastädte sind an ihr vorbeigegangen. Die Stadt wirkt wie eine Kreuzung aus Berlin und Beirut. Der Trubel ist unbeschreiblich. Massen von Menschen und Mopeds konkurrieren um jeden Quadratmeter. Es ist laut und eng, die Luft ist schlecht. Die Gebäude sind grau, tragen traurig triste Großstadt-Patina. Alles authentisch, keine falschen Fassaden. Der Verfall schleicht sich auf leisen Sohlen heran. Wir sind fasziniert und werden schlicht mitgerissen.

 

Dabei gerät die erste Berührung mit Vietnam etwas kühl. Am Flughafen knattern rote Fahnen mit goldenem Stern im Wind. Öffentliche Gebäude protzen in einer asiatisch adaptierten Stalinarchitektur. Direkt und ohne Umwege werden wir zuerst zum Mausoleum des kommunistischen Staatsgründers Ho Chi Minh gefahren. Es fühlt sich an wie ein Pflichtprogramm. Längst verschüttete Erinnerungen an Besuche hinter dem Eisernen Vorhang werden wach. Willkommen im real existierenden Sozialismus. Dennoch hilft es, in das Land hineinzufinden. "Ho, Ho, Ho Chi Minh", lautete während der 68er Revolten der Schlachtruf der Berliner Studenten, als sie gegen den Besatzungskrieg der USA in Vietnam protestierten. Hier bekommt der Name plötzlich eine Kontur. Wir sehen Wohnhaus und Mausoleum eines konfuzianisch geprägten Menschen, der einer Weltmacht mit Namen USA die größte Niederlage ihrer Geschichte beigebracht hat. Viel wichtiger noch: Wir erfahren, wie die Vietnamesen ihren Staatsgründer heute noch verehren. Keine Geldnote, kein Plakat, kein öffentliches Gebäude ohne sein Konterfei. Das wiederum verwundert nicht in einem System, das seit 40 Jahren keine kritische Auseinandersetzung mit der nunmehr historischen Figur zulässt.

 

Die Straßenmärkte üben die größte Faszination auf uns aus. Jede Warengruppe hat eine Straße für sich. In der Schuhstraße gibt es tausende Paar Schuhe, in der Silberstraße kiloweise Silberschmuck. Um den Überblick zu behalten, navigieren wir so durch die Stadt: Lass uns noch einmal durch die Brillenstraße zur Tuchstraße gehen. Ich geh' doch noch einmal zur Gürtelstraße und hole mir den kleinen Schwarzen. Unterm Strich lernen wir jedoch nur ein System kennen, wie es vor 100 Jahren in allen Städten Europas gang und gäbe war.

 

Für uns ungewohnt ist, dass die Lebensmittel, insbesondere Fleisch, offen am dem Straßenrand in der Sonne liegend präsentiert werden - auf einer Strecke von mehr als 100 Metern. Die Fische werden an Ort und Stelle ausgeweidet. Das alles hinterlässt einen eigenen Geruch. Mit verbundenen Augen könnten wir jeweils sagen, was angeboten wird. Bei ähnlichen Verhältnissen in Hannover würde das Gesundheitsamt sofort die Stadt evakuieren.

 

Westliche Touristen fallen im Straßenbild auf. Die meisten Besucher kommen aus Japan, Korea und China. Westlicher Einfluss ist kaum zu spüren. Die uns in jedem Winkel der Welt vertrauten Marken sind hier so gut wie nicht vertreten - es sei denn, es handelt sich um ihre Imitate an den Marktständen. Insbesondere fehlen die Fast-Food-Ketten. Die Vietnamesen ernähren sich durchweg traditionell. Wir sehen so gut wie nie Einheimische, die durch Übergewicht auffallen. Eher das Gegenteil ist der Fall.

 

Das Gefühl, in einer uns fremden Welt unterwegs zu sehen, machen wir auch daran fest, dass es nirgendwo deutsche oder europäisch Bezüge gibt. Wir finden nichts Vertrautes in der Architektur der Gebäude, kaum westlichen Lebensmittel in den Regalen, keine Autos auf den Straßen. Nach einer Weile dann doch ein deutscher Bezug: ein Drehspieß mit Fleisch und dem Schild darüber "Original Berlin Döner".

 

Weiter zu "Es fährt ein Zug nach..."