Vietnam

Schmerzhafte Geschichte

Saigon heißt seit der Wiedervereinigung Vietnams 1975 Ho Chi Minh City. Geblieben ist der Name des Flusses: Saigon River. Da einfacher und kürzer und zudem auch mehr gebräuchlich bei den Einheimischen, bleiben wir hier beim Namen Saigon. So richtig waren wir auf diese Stadt nicht vorbereitet. Uns erwartet eine Mega-City mit mehr als acht Millionen Einwohnern. In der Stadt sind fünf Millionen Mopeds unterwegs. Wir sehen Bilder, bei denen Roller soweit das Auge reicht an einer roten Ampel warten. Es ist bunt, laut, blinkend, hektisch. Die Stadt wirkt, als habe es in Vietnam nie Armut und Krieg gegeben, von Sozialismus keine Spur. Das Stadtzentrum bilden Gebäude aus der französischen Kolonialzeit. Saigon hat einen vollständig anderen Charakter als Hanoi. Schwer vorstellbar, dass beide Städte demselben Land gehören.

 

Der Krieg ist dennoch allgegenwärtig, denn um die Stadt herum tobte der Kampf der Vietcong gegen die US-Einheiten. Wir besichtigen eines der legendären Kriegsdenkmale des 20. Jahrhunderts: das Tunnelsystem von Cu Chi. In den aus mehreren unterirdischen Ebenen bestehenden Tunneln verschanzten sich die Soldaten der nordvietnamesischen Befreiungsarmee. Knapp sechs Jahre lebten sie dafür in dem rund 150 Kilometer umfassenden System unter der Erde. Die Tunnel von Cu Chi sind noch zugänglich, die Anlage ist wie ein Kriegsmuseum ausgebaut. Als wir nur versuchen, uns nur in einem Erdloch zu verschanzen, merken wir schon, wie eng alles angelegt ist; so eng, dass die Vietcong gerade noch durchpassen, die deutlich größeren Amerikaner jedoch nicht. Die gleiche Erfahrung machen wir schließlich im Tunnel selbst. Für Touristen sind die Gänge extra erweitert worden. Auf Knien robben wir einen 20 Meter langen Abschnitt. Die Luft ist modrig, es ist stockdunkel. Unvorstellbar, hier über Jahre zu leben.

 

Im Anschluss besuchen wir das Kriegsmuseum in Saigon. Es besteht im Wesentlichen aus Fotografien von Kriegsreportern. Die Bilder lassen einem den Atem stocken. Das Grauen steigert sich noch, als die Fotos des Einsatzes von Napalmbomben und Agent Orange gezeigt werden. Und schließlich die Folgen wie Missbildungen und Fehlgeburten, unter denen die Vietnamesen noch heute in den bombardierten Gebieten leiden. Hunderte Menschen sehen sich die Ausstellung an. Niemand spricht, die Blicke sind gesenkt. Auch wenn ebenso die Agent Orange Opfer auf US-Seite gezeigt werden, handelt es sich bei der Ausstellung um eine einzige Anklage gegen die USA. Sämtliche Kriegsverbrechen werden aufgelistet, dazu werden Zitate der Rechtfertigung amerikanischer Politiker jener Zeit gestellt. Das ist unerträglich und soll Gefühle gegen die USA allgemein wecken. Aber wer darf hier pauschal über ein anderes Volk urteilen? Die Bilder über die Vernichtung des Dorfs MyLai betrachtet Markus gemeinsam mit einer Israelin.

 

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