Hidden Paradise

Schon die Anreise ist ein Abenteuer. Wir stellen fest, dass Hidden Paradise kein Marketing-Bla-Bla ist, denn das Navi hat keine Ahnung von unserem Ziel. Die grobe Richtung stimmt zwar, doch plötzlich führt uns das Navi von der Straße ab in eine fatale Falle. Wir fahren extrem steil in ein Bergdorf hoch. Bloß nicht stehenbleiben, sonst rutschen wir einfach runter. Wir merken, dass wir komplett irregeleitet sind. Doch da ist die Straße schon so eng, dass wir die Spiegel einklappen müssen. Umdrehen? Zu spät.

 

An einer Art Kuppe geht es wieder bergab. Das erste Stück führt sieben Meter nach unten. Es ist so steil, dass wir von oben nicht sehen, wo es unten endet. Es ist eindeutig eine Straße, also los. Aber Kerstin in einem zuvor unbekannten Ton: „Du fährst da nicht runter!“

 

Na super, was tun? Rückwärts durch die Enge funktioniert nicht. Umdrehen? Die Stelle hat eine kleine Auswuchtung. Einen Versuch ist’s wert. Nach zwei Zügen steht der kleine Peugeot Kombi wie verkantet zwischen Fels und Abgrund. Das Auto hat an allen Seiten Abstandssensoren, die scheinbar alle verfügbaren Signale in einem Warnton-Platzkonzert auf einmal ausstoßen, so eng ist es. Die Kinder sitzen wie paralysiert auf der Rücksitzbank, während Kerstin draußen nach links und rechts dirigiert, Zentimeter um Zentimeter. Uns fällt beim Kurbeln auf, dass wir auf der Insel noch keinen VW Passat gesehen habe. Warum wohl? 

 

Mit der Zeit kommen einige Bewohner aus ihren Berghäuschen. Sie fragen sich: Was machen die da, schauen zu – und winken schließlich mit. Dann ist es geschafft, wir sind frei.

 

Je näher wir unserem Ziel kommen, desto skurriler wird es. Von der Hauptstraße runter ist es immer dünner besiedelt. Wir durchfahren enge, tropfende Tunnel, die wie von Hand grob durch den Fels getrieben wurden. Dann stehen wir vor einem Wasserfall, der sich mitten auf die Straße ergießt. Wir lassen uns seit einigen Kilometern per Telefon von unserem „Vermieter“ Nuno führen. „Nuno, we are standing in front of a waterfall. Is this right?” Nuno: “Of course, Get through it.” So fahren wir tatsächlich mit unserem Wagen durch den Wasserfall, so dass das Wasser nur so aufs Auto kracht.

 

Hinter dem Wasserfall ist es, als ginge ein Vorhang auf. Überall grüne Hänge, alles ist mit Bananenbäumen bepflanzt. Hier und da sind kleine Bauernhäuser an den Fels geklebt. Die Straße wird schmaler, ein Feldweg, dann geht’s nur noch zu Fuß weiter. Wir schleppen unser Zeug und Einkäufe für die zweite Woche auf engen, steilen Stiegen hoch zu unserem Platz. Da ist er dann: Hinter uns eine Steilwand, die 100 Meter hoch ragt. Nach unten 130 Meter Steilküste bis zur Brandung des Atlantiks. Wir schauen auf das unendlich weite Meer. Zwischen Hoch- und Steilküste liegt eine Terrasse mit unserem Zelt drauf, dazu Küche, Dusche und Toilette. Es ist grandios.

 

Das Areal ist Teil einer Bananenplantage. Überall sattes Grün. Längst wachsen dort auch Mangos, Zitronen, Orangen, Papaya und vieles mehr. Dazwischen überall verschiedene wilde Kräuter, Tomaten, Kürbisse. Alles vermengt sich mit der salzigen Luft des Atlantiks zu einem einzigartigen exotisch-herb-fruchtigen Geruch. Aus den Felsspalten dringt Wasser, das sich zu Mini-Wasserfällen vereint und die reiche Vegetation möglich macht. Ein kleiner Natur-Pool mit Hängematte unter herunterhängenden Passionsfrüchten erinnert an Kitschfilme wie à la Blaue Lagune. Auf unserem Plateau fühlt es sich an, als habe jemand die Alpen mit den Tropen vermischt und daraus ein kleines Paradies geschaffen.

 

Hüter von allem ist Nuno, der die Welt miteinander versöhnen will. Strom und warmes Wasser kommt aus einer Solaranlage, als Materialien gibt es nur Holz, Stein und Stoff. Auf dem Gelände stehen keine Liegestühle, sondern Büsten indisch-asiatischer Gottheiten und Matten zum Meditieren. Nuno begrüßt uns mit den Worten „Ihr seht sehr gesund aus“ und staunt anschließend über unseren Weinvorrat. Als wir nach vier Tagen mit vier Personen nach einem neuen Müllbeutel fragen, ist Nuno sichtlich irritiert. „Sollen wir die Flaschen extra sammeln?“. Nein, das sei nicht nötig, er sortiere ohnehin noch einmal alles.

 

Nuno erklärt uns noch, in welche Richtung die Kinder im Zelt mit ihren Füßen schlafen sollen, weil es für das Karma am besten ist. Dann sind wir allein, und zwar so richtig, denn die Smartphones sagen: Kein Netz. Kerstin findet irgendwann eine Stelle: wenn das Smartphone dort liegt und der Wind bei wolkenfreiem Himmel richtig steht, weht manchmal eine einzelne What‘sApp herein. Das ist Karma. Auf den Büsten trocknen wir später unsere Hosen.

 

Auf dem Areal gibt es zwei weitere Zelte. Überall hin verzweigen sich kleine Wege, Leitern, steile Stiegen. In der Woche haben wir nur einmal andere Gäste getroffen.

 

Dafür hatten wir Mitbewohner. Um uns herum lauter Eidechsen der 20-Zentimeter-Klasse. Scheu, flink und neugierig beobachten sie uns aus sicherer Entfernung: beim Kochen, Essen, Schlafen, Duschen und auf dem Klo.

 

Der Zivilisation entsagen ist in Ordnung, aber bitte mit frischen Brötchen zum Frühstück. Also beginnt der Tag mit zwei Kilometern Fußmarsch zu einem kleinen Supermercado in einer Tankstelle. Es ist ein herrlicher Weg durch die Natur, entlang der Steilküste, wieder durch den Wasserfall und die tropfenden Tunnel, dazu bei Sonnenaufgang. Woanders sein. Das Andere nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Hier war es so.

 

Mit dem Auto entdecken wir die kleinen Orte in der Nähe. Es sind Dörfer dabei, die ohne Straßen angelegt sind, weil es aufgrund der Berge über Jahrhunderte auch keine Straßen gab, die zu den Orten hin- oder von den Orten wegführten. Höhepunkt unserer Entdeckungen ist im Nachbarort Madalena do Mar das Bananenfest, eine Art Erntetdank für Tropenfrüchte. Es sind wirklich die Einheimischen, die hier feiern, wir fallen dazwischen etwas auf. An Essen und Trinken fährt die Region auf, was sie zu bieten hat. Bananenstauden, die mehr als 70 Kilo wiegen, werden prämiert. Alles ist unschlagbar günstig. Das Beste: Ein gezapftes Bier kostet 50 Cent.

  

Nach einer Woche ist die Zeit im Paradies zu Ende. Mit Wehmut verstauen wir alles im Auto. Wir schließen Nuno in die Arme, die Kinder haben ihm ein Bild gemalt. Nie zuvor hat sich jemand über Bilder unserer Mädels so gefreut wie Nuno.  

 

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