Die Hitze von Tarrafal

Mit Wehmut wuchten wir unser Gepäck in Aldeia Manga auf den Pickup. Aufbruch nach Tarrafal. Die Fahrt durch Hitze und Trockenheit dauert mehr als drei Stunden. Das bedeutet: Drei Stunden vertrocknetes Land. Kein Ort, kein Haus. kein Strauch. Wir halten am höchsten Punkt der Insel. Ein Aussichtspunkt. Was wir sehen: Kein Ort, kein Haus. kein Strauch.

Wenn wir die Serpentinen auf der Meerseite fahren, blicken wir auf Traumstrände herab. Sie sind Kilometer lang, breit und sandig mit herrlichen Wellen. Ein Prospekt wurde sich in der Beschreibung noch deutlich mehr überschlagen. Aber auch dort das große Nichts. Keine Hotelkette kommt auf die Idee zu investieren. Da kannst du genau so ein Hotel auf dem Mond bauen.

 

Unsere Ankunft in Tarrafal ist speziell. Die Sonne brennt gnadenlos. Die Fahrt über gepflasterte Straßen steckt uns in den Knochen. Der Ort hat kaum befestigten Wege, die meisten Häuser sind festerlos. Wir schleifen unsere Koffer durch trockenen Sand zur Unterkunft. Das Fischerdorf ist auf Staub gebaut, der Strand ist schwarz und heiß. Unwillkürlich fühlst du dich auch gleich vollgestaubt. In unserem Zimmer stehen vier Betten auf gespachteltem Betonboden. Toilette, Dusche Balkon. Das Nötigste, kein Detail zu viel. Die Wände weiß gekalkt. Eine Klimaanlage gibt es nicht. Was Nächte mit offenem Fenster bedeuten, merken wir rasch, wenn die Hähne nachts ab 2 Uhr zu ihren Krähwettkämpfen antreten. Die Betreiberinnen der Unterkunft sprechen kein Wort von gar nichts. Wir bekommen einen Zettel mit gebrochenen englischen Infos zum Frühstück in die Hand gedrückt. Als wir fragen, ob wir auch abends etwas zu essen bekommen, verstehen die Damen kein Wort.

 

Nach den Tagen im Paradies von Aldeia Manga erleben wir einen Bruch. Wir hadern mit dem Ort. In einem Moment mit Wlan fragt Kerstin fragt die Agentur, ob wir auf einen anderen Ort umbuchen können. Da ahnen wir noch nicht, dass Tarrafal fast die schönste Station unserer Rundreise werden sollte.

 

Zuerst betritt Wolfgang die Bühne. Ein Nürnberger, der vor Jahren auf der Insel hängen geblieben ist und heute das Hotel eines deutschen Ehepaares führt. Die Damen aus unserem Hotel hatten ihn angerufen. Das muss man sich vorstellen. Erst fühlt es sich an, als ob du jeden Kontakt zur Welt außen verloren hast, in der nächsten Sekunde bietet dir jemand im bayrischen Dialekt mit Irokesenfriseur an, abends in seinem Hotel am Buffet teilzunehmen - im Anschluss an den Sundowner auf der Strandterrasse. Gebongt.

Von da an lasen wir uns treiben. Wir haben nur eine Aktivität organisiert. Mit unserem Fahrer erkunden wir die Gegend. Ein abgelegenes Bergdorf, das aussieht wie die Filmkulisse für einen Italo-Western. Und eine grüne Ecke in der sogar Bananen wachsen – das absolute Top-Highlight. Zuckerrohr natürlich auch.

 

Wir lesen, spielen, erkunden den Ort. Andere Leute mit weißer Hautfarbe sind so selten, dass man sich unwillkürlich grüßt, wenn man sich über den Weg läuft. Dann stellen wir fest, dass Tarrafal noch gar nicht das Ende der Welt ist. Hier hören nur die Straßen auf. 13 Kilometer entfernt gibt es noch einen Ort, den man nur zu Fuß über einen malerischen Bergtrail entlang der Küste erreichen kann. Osvalo Santos, unmittelbar dahinter der westlichste Punkt Afrikas. Der Ort ist in den Berg geklebt. Wir lassen uns mit einem Fischerboot hintuckern. Zu sehen gibt es nicht viel. Restaurant, Schiffe, Bar. Wir wissen nicht, wovon die Menschen dort leben. Und vor allem nicht: Warum sie dort leben.

 

In Tarrafal haben wir uns eingelebt. Das Derbe. Das Schlichte. Wir sehen, wie Menschen, die nichts besitzen, nachts am Strand schlafen. Ein paar hundert Meter vom Ort ein riesiges Areal mit einzelnen Holzverschlägen, in denen Schweine gehalten werden – zur Geruchsvermeidung im Ort. Die Kinder würden die Ferkel am liebsten streicheln und bringen Ihnen Gemüsereste und Obst. Dass sie damit Teil des Mästvorgangs ist, ahnt die vegetarische Lucy nicht. In Tarrafall ist nichts für Touristen geschminkt. Fast scheint es, als sei die gesamte Reise auf diesen Punkt hinausgelaufen. Wir sind angekommen auf den Kapverden, so, wie sie wirklich sind.

 

Der Abschied fällt uns schwer. Morgens um 6 Uhr warten wir auf unseren Transfer. Angekündigt war ein Sammeltaxi. Die Kinder haben sich mit einem der streunenden Hunde angefreundet. Er ist auch da. Als wir abfahren, läuft er uns noch 200 Meter hinterher.

Ein Sammeltaxi ist auf den Kapverden ein Pick-up mit offener Ladefläche. Aus unserer Sicht ist das ankommende bereits voll besetzt. Im Innenraum gibt es keinen freien Platz, hinten sitzen zwei Personen zwischen Koffern und Taschen. Das kann nicht für uns sein. Doch nach 15 Minuten umpacken sitzen wir Vier mit unseren drei Koffern, vier Taschen und zwei Rucksäcken auch noch irgendwie dazwischen und krallen uns an dem äußersten Rand der letzten Holzlatte fest, während wir mit 60-80 Sachen durch die Serpentinen rauschen. Die erste Stunde fühlt es sich wie ein kleines Abenteuer an. Die zweite Stunde auf Holzlatten durch tiefhängende Wolken der Bergpässe ist erfüllt von dem Wunsch, endlich am Hafen anzukommen. Nie waren wir so froh über unsere gut ausgeprägte Arm- und Beinmuskulatur, die auf jeder Seite in den Kurven als Rausfallschutz für die Kinder funktionierte. Der Autokindersitz klemmte sicher angeschnallt zwischen den Koffern.

 

Am Hafen schließlich lassen wir unser Gepäck auf die Fahre verladen. Als wir 30 Minuten später auch auf das Schiff wollen, verweigert man uns den Zutritt. Grund: Wir haben Tickets für eine andere Fähre. Aber unsere Koffer….? Der Steward winkt uns durch.

 

Exkurs V: Covid

Der Tourismus sollte das Land aus der Armut führen. Geblieben sind davon unfertige Hotelburgen, Geisterorte und immer wieder Gebäude, die halbfertig einfach in der Landschaft stehen. Es sind die äußeren Narben der Pandemie, die nur schwer verheilen. Ein ganzer auf Schulden gebauter Wirtschaftszweig ist vollständig in sich zusammengebrochen. Auch im Innern hat es Verwerfungen gegeben. Unser Fahrer auf San Vicente ist eine Frohnatur, der alle mit seiner guten Laune ansteckt. Angesprochen auf die Corona-Zeit wird er erst einsilbig, dann stumm. 

 

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