Die Sandwüste Boa Vista

Sand. Überall Sand. Boa Vista, die Wüsteninsel. Egal, wo du stehst: Du hast Sand unter den Füßen. Nach einem Tag auch im Koffer, in den Hosentaschen, zwischen den Zähnen.

 

Wir wohnen in einem kleinen Bungalow direkt am Strand. Vor uns nur das Meer. Die Minisiedlung ist Teil einer Hotelanlage, die nie fertig gestellt wurde. So stehen die Häuser im Nichts. Links, rechts, vorne hinten – kilometerweit gibt es nichts außer Sand und Meer. 

Einen Nachteil hat die Nähe zum Meer. Der stete stramme Wind produziert gewaltige Wellen. Unser Schlafzimmer liegt zum Wasser. Die Brandung donnert dich spätestens um 6 Uhr aus dem Schlaf. Frühstück kommt erst in zwei Stunden. Alles, was du machen kannst, ist ein Strandspaziergang. Und ein Schlaflosmorgen bringt Markus ein unvergessliches Erlebnis: Vor seinen Augen zieht sich eine Riesenschildkröte aus dem Meer. Offensichtlich will sie ihre Eier eingraben. Ein Sprint zum Bungalow, um Kerstin und Kinder zu holen. Doch als wir zurückkommen, ist sie verschwunden.

 

An Tag zwei tritt Ana in unser Leben. Ein afrikanisches Mädchen, vielleicht neun Jahre alt, voller Lebensdrang. Die Nichte der Frau, die uns das Frühstück bringt. Ana begrüßt uns mit einem Spagat und einem Radschlag auf einem Arm. Mit beiden Händen dagegen greift sie nach allem, was erreichbar ist. Haribos, Spielzeug, eine halbe Flasche Shampoo beim Duschen. Auch Lucy und Leyla sind fasziniert. Obwohl die Kinder sich nicht verständigen können, spielen sie den gesamten Tag miteinander.

 

Wie anders die Lebenswirklichkeit in Afrika ist, merken Lucy und Leyla in Sal Rei, der Hauptstadt der Insel. Sie sind mittendrin im Gewusel afrikanischer Kinder am Hafen, wo sich die Gleichaltrigen am Abend die Zeit auf ihre Art vertreiben. Sie werfen ihre Hunde von der Hafenkante in hohem Bogen ins Meer und lassen sie angsterfüllt zur Kaimauer zurückschwimmen. An den Vorderpfoten werden sie dann aus dem Wasser gezogen. Andere Kinder angeln einen kleinen Tintenfisch aus dem Hafenbecken. Das Tier wird so lange auf den Boden geschmettert, bis es sich nicht mehr regt. Dann werden dem Tintenfisch die Tentakel abgeschnitten, in kleine Scheiben geteilt, die sich die Kinder anschließend als Ringe über die Finger ziehen. Lucy und Leyla kommen zurück an unseren Tisch und sagen kein Wort.

Die Hafenszenerie zeigt auch ein anderes Bild. Erkennbar minderjährige Mädchen mit ihren Neugeborenen im Tragetuch. Ihre T-Shirt-Aufdrucke der zeigen die US-Flagge oder andere Symbole der Freiheit. Die katholische Kirche ist die mit Abstand dominierende Konfession auf den Kapverden.

 

Exkurs I: Flugchaos

Sommer 2022. Es ist die Zeit, in der der internationale Flugbetrieb nach Covid wieder voll anlaufen sollte. Und es ist die Zeit, die gezeigt hat, wie fragil das gesamte System ist. Schon Wochen vorher hören wir von chaotischen Zuständen auf dem Düsseldorfer Flughafen. Unendliche Schlangen, Personalmangel bei der Abfertigung, reihenweise Reisende, die ihren Flug nicht bekommen, weil sie nicht rechtzeitig durchkommen. Auch wir wollen auf Nummer supersicher gehen – und stehen morgens, bevor der Flughafen um 3 Uhr überhaupt öffnet, am Check-in. Und auch schon eher hinten in der Schlange, weil alle anderen genauso denken. Weil du dich auf den Flughafen nicht verlassen kannst, stehst du mit tausenden anderen fünf Stunden vor Abflug mit deiner Familie in der Halle. Die Szene hat etwas Entwürdigendes. Auf den Kapverden planen wir später zwei Inlandflüge. Wir hören, dass die inländische Fluglinie pleite gegangen ist. Wie mag es dort laufen? Im Gegensatz zu Deutschland läuft später in Afrika alles ohne Probleme.  

 

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