Vietnam

Paradies in der Warteschleife

Nach drei Wochen Vietnam und fast 3.500 Kilometern mit Auto, Flugzeug, Boot, Zug und Fahrrad meldet sich der Wunsch nach Entspannung. Unsere Oase im Mekong Delta hat uns schon dabei geholfen, aus dem Modus herauszukommen, alle zwei Tage neue umwerfende Erlebnisse zu verarbeiten. Wir fliegen zu unserem letzten Ziel, der Strandwoche auf der Insel Phu Quoc im Thailändischen Ozean. Hier werden wir sieben Tage an einem Ort verbringen. Entsprechend sorgfältig haben wir die Unterkunft ausgesucht. Wir sind zu Gast im Mai House, einem kleinen, naturbelassenem Strandresort, auf dem sich mehrere Strohdach-Häuser verteilen.

 

Die Insel ist ein Traum. Das liegt vor allem daran, dass in Vietnam alles etwas langsamer vonstatten geht. Es gibt einen Hauptstrand, an dem sich kleine Anlagen reihen, sonst nichts. Die Tourismus-Maschinerie ist so gut wie gar nicht angelaufen. Große Hotelkomplexe gibt es nicht, auf dem Meer fahren keine Yachten oder Bananaboote, am Strand kommen keine Uhren- oder Tuchverkäufer, in dem kleinem Hafenort gibt es nur wenige, klägliche Geschäfte und die Partyschuppen fehlen auch. Abends um 22 Uhr werden die Stühle hochgestellt. Wir genießen das alles. Abends gehen wir in die Strandrestaurants, wo wir mit unserem Tisch ohne Schuhe direkt am Meer sitzen. Zweimal erleben wir es, dass sich Krebs aus dem Sand buddelt, Kerstin in den Fuß zwickt, und wieder verschwindet.

 

Auch hier ist das Essen günstig und lecker. Wir probieren uns voller Begeisterung durch die regionale Küche, lernen Tamarind kennen, entdecken die Fischsauce dieser Insel oder probieren Seeigel. Einmal geben wir vergleichsweise viel Geld aus, das ist dann auch prompt unser einziger Reinfall. Für knapp 20 Dollar gönnen wir uns auf dem Nachtmarkt in der Stadt einen ganzen Hummer, der allerdings wenig zu bieten hat. Ein weiteres Negativ-Erlebnis ist, dass wir die Kreditkarte verlieren, besser gesagt, im Geldautomaten stecken lassen. Zumindest hatten wir die Karte dort zuletzt genutzt. Auf jeden Fall haben wir nie einen Gedanken daran verschwendet, die Karte könnte uns gestohlen worden sein. So sicher wie in den vier Wochen Vietnam haben wir uns noch nirgendwo anders auf dieser Welt gefühlt, Deutschland inbegriffen.

 

Neben einer herausragenden Fischsauce bietet PhuQuoc noch eine Besonderheit: Perlen. Die Insel ist ein Zentrum der Perlenzucht. Es gibt edle Verkaufsräume, groß wie Turnhallen, in denen vor unseren Augen die Muscheln geöffnet und die Perlen entnommen werden. Wir lernen auch, echte Perlen von Imitaten zu unterscheiden. Wenn sie feuerbeständig sind und beim Schaben auf einer Glasscheibe keinen Schaden nehmen, dann ist alles okay. Kerstin entwickelt sich rasch zur Expertin, findet erst ein gutes Geschäft und schließlich die richtigen Perlen.

 

Über Perlengeschäfte hinaus wollen wir auch den Norden und Süden der Insel kennenlernen. Für den Süden buchen wir eine Snorkeling-Tour. Mit einem Boot tuckern wir aufs Meer hinaus und tauchen ab in eine Korallenwelt, die so unberührt aber nicht mehr ist. Im Anschluss fahren wir mit dem Bus weiter an den Süd-Strand Sao Beach, den die Broschüre als ein "must seen" anpreist. In der Tat, so einen verdreckten Stand haben wir wirklich noch nicht gesehen.

 

Die Tour in den Norden unternehmen wir zwei Tage später auf eigene Faust. Dafür mieten wir uns einen Motorroller und knattern los. Zuerst einmal werden wir Teil des Straßenverkehrs, den wir immer gefürchtet haben. Irgendwie funktioniert's. Dann lernen wir vietnamesische Landstraßen kennen. Hier funktioniert nichts mehr. Eigentlich sind diese Wege nicht passierbar. Es handelt sich auch gar nicht um Wege, sondern um Mondlandschaften in Miniaturform. Nicht einmal Schritttempo ist möglich. Im Sekundentakt knallt die Federung des Rollers auf unseren Rücken durch. Kerstin muss mehrmals absteigen, weil wir sonst aus dem Schlamm nicht mehr herauskommen würden. Wir sehen ernsthaft ein Straßenschild, das die Geschwindigkeit auf 5 km/h begrenzt. Es rumpelt derart, dass wir die Feder des Seitenständers verlieren. Der hängt dann lustlos und gefährlich beim Fahren herunter, bis wir ihn mit Urwaldgestrüpp am Rahmen festbinden. So kämpfen wir uns auf der Nicht-Straße gen Norden, bis wir einen kleinen Fluss erreichen, der die Straße quert. Auch hier sollen wir durchfahren. Da ist für uns dann endgültig Schluss. Wir drehen um. Die Strapaze lohnt. Wir entdecken abseits der Wege verschlossene Ecken, traumhafte Strände, malerische Buchten. Wir sehen Fischerfamilien, wie sie bei beißendem Gestank tausende kleine Fische zum Trocknen ausbreiten oder einsammeln. Hier und da gibt es so etwas wie ein Restaurant. In einem essen wir auch etwas und sind die einzigen Gäste. Über der Szene liegt Lethargie. Das Bambusdach ist gerichtet, Tisch und Stühle stehen, die Speisekarte ist auf Englisch übersetzt, die Betreiber warten auf den Tourismus. Nur: Es kommt niemand. Kann auch nicht, bei diesen Straßen.

 

Unsere letzten Tage gehen viel zu schnell vorüber. Schließlich heißt es Abschied nehmen und die 35 Grad auf Phu Quoc gegen die 5 Grad in Hannover eintauschen. Ein Stück des Paradieses möchten wir nach Hause entführen. Auf dem Markt kaufen wir zwei Flaschen der Fischsauce und wollen sie in unseren Koffern nach Hause schmuggeln. Auf dem Mini-Flughafen geben wir die Koffer auf. Es dauert nicht lange, und "Mr Nitski" wird ausgerufen. Eine Flughafen-Mitarbeiterin empfängt Markus am Kofferscanner und sagt immer wieder Fitisi, Fitisi. Wie bitte? "Fitisi". Natürlich möchte sie "fishsauce" sagen. Wir müssen die Koffer öffnen. Herausgefischt wird die Fitisi von Nitski.

 

So geht es über den Flughafen Saigon zurück nach Deutschland, zwar ohne Fischsauce, aber voll bepackt mit Eindrücken fürs Leben. Wir sind tief bewegt und dankbar, alles erlebt haben zu dürfen.